„Wir können das noch schaffen!“

Veröffentlicht am 1. Juli 2020

Prof. Wolfgang Feist ist der Gründer des Passivhaus Instituts, das sich seit Jahrzehnten für den bewussten Umgang mit Energie vor allem im Bau- und Wohnbereich stark macht. (Foto: Peter Cook / Passivhaus Institut)

„Wir können die Klimakrise noch aufhalten. Dazu müssen wir jetzt die richtigen Entscheidungen treffen und dann auch danach handeln“. Diese Aussage traf Prof. Wolfgang Feist jetzt bei Online-Pressegesprächen, die das Passivhaus Institut zusammen mit anderen Netzwerken durchführte. Der Gründer des Passivhaus Instituts wies dabei auch auf Parallelen zwischen der Corona-Pandemie und der globalen Klimakrise hin.

Feist legte zudem dar, wie eine verbesserte Energieeffizienz bei Gebäuden sowie ein deutlicher Wandel in den Bereichen Mobilität und Energie die gefährlichen Ausmaße des Klimawandels noch aufhalten können. „Business as usual, so weitermachen wie bisher, das geht nicht!“ Prof. Wolfgang Feist verdeutlichte, dass es auf jeden Fall einen Klimawandel geben wird: „Das CO2, das die Temperaturen in den nächsten Jahrzehnten ansteigen lässt, ist schon vor vielen Jahren emittiert worden.“ Wie bei einer Infektion mit dem COVID-19- Virus treten auch in der Klimakrise die Symptome mit Verzögerung auf. Im Gegensatz zur Coronakrise, bei der „nur“ 4 oder 5 Prozent der Bevölkerung ernsthaft betroffen seien, werde der Klimawandel jedoch über 60 Prozent der Bevölkerung negativ betreffen und die gesamte Zivilisation gefährden.

„Katastrophalste Auswirkungen vermeiden!“

„Die Vergangenheit können wir nicht ändern, aber die Zukunft! Daher müssen wir jetzt starten, um die katastrophalsten Auswirkungen des Klimawandels noch zu vermeiden. Wir müssen uns wirklich anstrengen, aber wir können das noch schaffen!“ Positiv beurteilte Feist, dass in Deutschland mit einer bedeutend gewachsenen Wirtschaftsleistung seit 1990, auch bei wesentlich mehr Flügen, gefahrenen Kilometern etc. der Verbrauch an Primärenergie gesunken ist, vor allem seit dem Jahr 2000. „Das ist primär ein Ergebnis verbesserter Effizienz. Und das muss auch positiv kommuniziert werden.“

Erneuerbare Energie ausbauen

Feist ermunterte dazu, diese positive Entwicklung zu intensivieren, unter anderem den Ausbau erneuerbarer Energie. Der größte Anteil an Energie werde für Gebäudeheizung und Verkehr verbraucht. „Daher sind die Umstellung von Verbrennungsmotoren auf Elektrotraktion sowie energieeffiziente Gebäude entscheiden- der Teil der Lösung für mehr Klimaschutz“. Positiv überrascht habe ihn der European Green Deal der Europäischen Union: „Die EU hat offensichtlich verstanden, dass im Klimaschutz und dem Wandel zu einer nachhaltigen Gesellschaft auch ein großes wirtschaftliches Potenzial steckt. Das ist eine große Chance für Europa!“

„Wärme im Passivhaus hält 14 Tage!“

Der Physiker zeigte am Beispiel des weltweit ersten Passivhauses in Darmstadt auf, wie drastisch der Bedarf für Heizwärme sinkt, wenn das Gebäude effizient gebaut wird. Durch die 5 Prinzipien – gute Dämmung, dreifach verglaste Fenster, Vermeidung von Wärmebrücken, luftdichte Gebäudehülle sowie die Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung – benötigt ein Passivhaus im Winter nur extrem wenig Energie zum Heizen. „In einem Passivhaus hält sich die Wärme 10 bis 14 Tage, weil sie nur ganz langsam entweicht. Analog dazu sinkt in warmen Klimaten der Bedarf an Kühlenergie“, erläuterte Feist.

Weniger Energie nötig

Der Gründer des Passivhaus Instituts entwickelte Ende der 80er Jahre den Passivhaus-Standard und baute daraufhin 1991 mit seiner Familie das weltweit erste Passivhaus in Darmstadt. Messungen im Objekt belegen, dass dieses Passivhaus mit einem jährlichen Heizwärmeverbrauch von durchschnittlich 8,4 kWh pro Quadratmeter und Jahr rund 87 Prozent weniger Energie verbraucht als ein herkömmliches Gebäude. Auch nach über 25 Jahren noch. „Das spricht für die Langlebigkeit der Komponenten, die auch in einer Studie belegt wird“, erklärte Feist.

Die Wärmerückgewinnung macht‘s

Es gebe noch immer Vorurteile gegen Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung, da diese angeblich viel Strom verbrauchen. „Doch der Einsatz von 10 oder 20 Watt für die Lüftungsanlage, die frische und vorgewärmte Luft ins Haus bringt, ist nur ein Bruchteil dessen, was an Energie wieder zugeführt werden muss, wenn der Luftaustausch ohne Wärmerückgewinnung geschieht. Das sind mehrere Hundert Watt“, erläuterte Feist. Zudem erhöhe eine Lüftungsanlage den Wohnkomfort.

Lüftungsanlage vorteilhaft

Aus Pressekreisen kam die Frage, ob eine Lüftungsanlage auch in Zeiten von Corona Vorteile bedeute. Feists Antwort: Ein eindeutiges „Ja!“ Zur Erläuterung: Eine Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung bringt frische, hygienische Luft ins Haus, keine umgewälzte Umluft. Zudem sind für Passivhäuser zertifizierte Anlagen grundsätzlich mit einem hocheffizienten Feinstaubfilter ausgerüstet. „Der hält sogar deutlich mehr Keime zurück als übliche Gesichtsmasken. Passivhäuser sind daher auch gut für die Gesundheit!“, erklärte Feist.

Effizienz und Erneuerbare

Als „Traumpaar“ bezeichnete Feist die Kombination von Energieeffizienz des Gebäudes mit der Erzeugung erneuerbarer Energie. „Wenn die Gebäude nur noch sehr wenig Energie verbrauchen, dann kann ein so geringer Energiebedarf leicht mit regenerativer Energie gedeckt werden.“ Auch das Pilotprojekt in Darmstadt, in dem Feist bis heute mit seiner Familie wohnt, erhielt vor 4 Jahren nachträglich eine Mini-Split- Wärmepumpe zum Heizen und Kühlen sowie eine Photovoltaikanlage. Bilanziell gesehen produziert das weltweit erste Passivhaus übers Jahr gesehen mehr Energie, als das Gebäude und seine Bewohner benötigen.

Zukunft nachhaltig bauen

Allgemein anerkannt ist die Tatsache, dass für einen klimaneutralen Gebäudebestand die Sanierungsrate gesteigert werden muss. Feist stellte ein Mehrfamilienhaus in Nürnberg vor, das nach dem vom Passivhaus Institut entwickelten EnerPHit-Standard mit Passivhaus-Komponenten modernisiert wurde. „Die sanierten Wohnungen haben anschließend nur noch einen Heizwärmebedarf von rund 25 kWh/(m2 a) anstatt zuvor über 200 kWh/(m²a). Wenn dann noch vermehrt Materialien aus nachwachsenden Rohstoffen zum Einsatz kommen, dann wird die Zukunft nachhaltig gebaut“, so Feist.

In allen Klimaten umsetzbar

Er erläuterte weiter, dass der Passivhaus-Standard in allen Klimaten umgesetzt werden kann. Auf große Nationen wie China könne dabei nicht verzichtet werden. Erfreulicherweise werden gerade in China ganze Viertel im Passivhaus-Standard gebaut, darunter auch die Bahnstadt in Gaobeidian mit mehr als einer Million Quadratmeter an zertifizierter Passivhaus-Wohnfläche.

Graue Energie

Bei der Frage der grauen Energie verwies Feist darauf, dass der größte Anteil des Energieverbrauchs nicht durch die Baumaterialien entsteht, sondern während der langjährigen Nutzung durch die Bewohner. „Energieeffiziente Gebäude sind der Schlüssel. Und selbstverständlich können diese auch aus nachwachsenden Rohstoffen gebaut werden. Das zeigen zahlreiche Holz-Passivhäuser“, erklärte der Gründer des Passivhaus Instituts.

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