Der Wohnungsbau steht auf der Kippe

Veröffentlicht am 23. Mai 2022

Dr. Susanne Schmitt, Verbandsdirektorin des Verbands der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft Niedersachsen-Bremen (vdw).

„In den vergangenen Wochen habe ich bei den Besuchen der Arbeitsgemeinschaften in unserem Verband viele ernste Gesichter gesehen“, so Dr. Susanne Schmitt, Verbandsdirektorin des Verbands der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft Niedersachsen-Bremen (vdw). Im Grund optimistische Wohnungsunternehmer äußern angesichts der Fülle an aktuellen Herausforderungen Zweifel, wie eine soziale, umweltbewusste und wirtschaftlich solide Wohnungswirtschaft noch funktionieren kann.

„Zugespitzt gesagt: Der sozialorientierte, der bezahlbare Mietwohnungsneubau steht auf der Kippe. Vielleicht kommt er sogar restlos zum Erliegen. Die Wohnungsunternehmen im vdw berichten: Im Bau befindliche und fertig geplante Bauvorhaben werden fertiggestellt, neue Projekte bleiben vorerst in der Schublade. Wie konnte es dazu kommen? Klimawandel und Klimaschutz haben bereits zu einer grundlegenden Veränderung der Unternehmensstrategien geführt.

Der vdw weist deswegen seit Jahren darauf hin, dass der Zielkonflikt zwischen bezahlbarem Wohnen und mehr Klimaschutz nur dann aufgelöst werden kann, wenn die öffentliche Förderung auskömmlich ist, preisgünstige Grundstücke für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung gestellt werden und die Planungs- und Genehmigungsverfahren möglichst zügig und reibungslos vonstattengehen. Dauerhaft wird um die Wirtschaftlichkeit von Neubau- und Sanierungsprojekten im preisgedämpften Bereich diskutiert. In enger Abstimmung mit den Regierungen der Länder in Hannover und Bremen ist es uns zuletzt gelungen, wichtige Faktoren zugunsten der sozialen Wohnungswirtschaft und der vielen Mieterhaushalte mit geringeren Einkommen zu beeinflussen. Das betrifft die Förderbedingungen selbst, aber auch die Regelungen in den Landesbauordnungen.

Doch, und das zeigt das Dilemma dieser Zeit, mittlerweile ist vieles, was in mühevollen Abstimmungsgesprächen erreicht werden konnte, schon wieder Makulatur. Von überall prasselt es auf die Branche ein. Allein die stetig steigenden Baukosten machen dem Wohnungsbau schwer zu schaffen. Mit einer Taskforce will Bauminister Olaf Lies nun nach Auswegen aus dem Dilemma suchen. Jede gute Idee hilft, denn teures Bauen führt zu teuren Mieten. Und das ist die Crux. Wir, der vdw und seine Mitglieder, wollen zeitgemäße Wohnungen zu bezahlbaren Mieten anbieten! Für Familien, Senioren, Alleinerziehende, Berufsanfänger und viele Menschen mehr, die sich Mietpreise jenseits von 8 oder 9 Euro pro Quadratmeter (im Neubau) nicht ansatzweise leisten können. Nur: Selbst diese Mieten sind angesichts der Baupreise nicht mehr zu realisieren.

Immerhin: Die durchschnittliche Miete in den Wohnungen der vdw-Mitgliedsunternehmen liegt (noch) bei unter sechs Euro pro Quadratmeter. Grund dafür ist der große Bestand, in dessen Verhältnis die Neubauten kaum ins Gewicht fallen. Damit sind wir vielerorts der wichtigste soziale Stabilisator am Wohnungsmarkt. Dennoch kann in Niedersachsen und Bremen im Angebotssegment preisgünstiger Wohnungen die hohe Nachfrage schon lange nicht mehr befriedigt werden. Dass der Bestand der öffentlich geförderten Wohnungen rapide abnimmt, verkommt angesichts des grundlegenden Mangels fast zur Randnotiz. Und genau diese fatale Lage verschlechtert sich in den ersten Wochen dieses Jahres noch einmal dramatisch.

Zum einen durch den Stopp der KfW-Förderung im Januar: In einigen Teilen ist die Bundesregierung mittlerweile zurückgerudert – nicht zuletzt aufgrund des Drucks von den wohnungswirtschaftlichen Verbänden und ihren Mitgliedern. Doch das Gesamtbild ist weiterhin verheerend: Jetzt, und das ist der zweite Einschlag in den vergangenen Wochen, führt der Ukraine-Krieg zu einer Flüchtlingswelle inmitten von Europa. Und zugleich forciert der Krieg die Schwierigkeiten, vor denen die Bauwirtschaft ohnehin schon stand: Holz, Stahl, Bitumen fehlen, Personal u.a. im Transportwesen ebenfalls, die Energiepreise sind so hoch wie nie. Und ein Ende dieser gegenwärtigen Entwicklung ist überhaupt nicht abzusehen.

In dieser prekären Lage wünschen wir uns vom Bund eine verlässlichere und massiv ausgeweitete Förderpolitik, vom Land eine Verbesserung der Planungs- und Genehmigungsverfahren und von den Kommunen mehr preisgünstiges Bauland, das in erster Linie für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung stehen muss. Außerdem versprechen die Umnutzung gewerblicher Immobilien oder auch die Aufstockung bestehender Gebäude ein ziemlich hohes Potenzial – entsprechende Förderprogramme sind längst überfällig. Bezahlbares und soziales Wohnen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und die Kosten dürfen nicht einseitig die Wohnungswirtschaft und unsere Mieter belasten.“

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