Landschaftsarchitektur in der Stadtentwicklung

Veröffentlicht am 23. Mai 2022

Quartiersmitte Haydnstraße, Hannover – Neuanlage eines Aufenthaltsortes und eines Kinderspielplatzes auf dem Dach einer Parkgarage. Foto: Planung + AusführungLinnea Landschaftsarchitektur, Hannover

Der Klimawandel ist sicherlich eine der größten Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte. In dessen Folge nehmen Starkregenereignisse und Hitzeperioden zu. Die Kommunen stehen bei der Problembewältigung dabei im Mittelpunkt, weil hier für den Klimaschutz und auch die Klimaanpassung Strategien und Lösungen erarbeitet werden müssen, um Städte und Gemeinden widerstandsfähig gegenüber Klimaveränderungen zu machen.

Komplexe Aufgabe

Eine große Herausforderung ist dabei die Komplexität, die diese Aufgabe in sich birgt. Allein von einer Profession ist sie nicht zu bewältigen. Hier ist ein interdisziplinärer Verbund von Stadtplaner, Landschaftsarchitekten und Architekten, von Politik und Verwaltung gefragt, der den Austausch mit den Bürgern sucht, um eine städtische Klimaresilienz zu erreichen und gleichzeitig die Wohn- und Lebensqualität sowie die Gesundheit und das Wohlbefinden der Bevölkerung zu sichern. Die Planer der Architektenkammer Niedersachsen haben hierzu 7 Thesen formuliert, nachzulesen auf www.aknds.de(PDF).

Den Landschaftsarchitekten kommt dabei in diesem Verbund eine Schlüsselrolle zu, da sich fast alle Komponenten einer resilienten Stadtentwicklung in Fachaufgaben der Landschaftsarchitektur wiederfinden. Wie kein anderer Berufsstand verbindet sie die Kenntnis ökologischer Zusammenhänge mit planerischer Kompetenz. Nicht umsonst spricht man, wenn es um eine qualifizierte Grün- und Freiraumentwicklung geht, von GRÜNER Infrastruktur. Die Aufgabe ist nicht neu, sie ist aber umso zwingender geworden. Vor jeder Neuplanung steht aber die Grundsatzfrage, ob wir uns Flächenverbrauch in Zukunft überhaupt noch leisten können? Wir können es eigentlich nicht. Die eigentliche Herausforderung ist, Quartiere so zu bauen, dass wir den Ressourcenverbrauch minimieren. Dieses weniger an Bauland, heißt Entwicklung im Innern des jeweiligen Orts. Gleichzeitig muss dabei aber auch ein Mehr an Lebensqualität gewonnen werden, durch viele Freiraumangebote in der Nähe mit direktem Zugang oder guter Erreichbarkeit zu Fuß oder per Rad. Gerade die beiden letzten Jahre mit ihren Abstandsregeln und Isolation haben gezeigt, welche Bedeutung und auch Wertschätzung einem hochwertigen grünen FREIraum zukommt.

Gesamtstädtische Ebene

Dabei trägt ein klar definiertes Freiraumsystem mit einem vielfältigen Netz an Grün- und Freiräumen entscheidend zur Steigerung der städtischen Klimaresilienz bei. Ein Vorzeigeprojekt ist das Projekt der „Grünen Finger“ in Osnabrück, das ein radial angeordnetes Freiraumsystem von Grünflächen beinhaltet, die vom Umland bis nahe an die Innenstadt heranreichen. Derart sternförmig strukturierte Städte bieten durch die Balance zwischen kompakter Stadt mit kurzen Wegen und gleichzeitig weit in den bebauten Raum hineinragenden Freiräumen ideale Voraussetzungen zur Bewältigung der Herausforderungen des Klimawandels. Eine zukunftsfähige und resiliente Stadtentwicklung muss hier ansetzen.

In den Quartieren

In unseren Städten verdichten und überlagern sich räumlich und zeitlich viele unterschiedliche Nutzungsinteressen. Die Strategie der Multicodierung von Freiräumen versucht, diesen vielfältigen Interessen gerecht zu werden. Multicodierung bezieht sich nicht allein auf die Mehrfachnutzung grüner Freiflächen. Sie ist auch eine Strategie, um andere städtische Freiflächen wie Straßenräume, Stellplatzanlagen, Dachflächen, Sport-, Schul- oder wasserwirtschaftlich genutzte Flächen mitzudenken.

Konkret heißt das: Frischluftschneisen und Kaltluftentstehungsgebiete zu sichern, die auch zur Erholung bestens genutzt werden können. Großzügige Parkanlagen zu entwickeln, die unterschiedlichen Nutzergruppen einen attraktiven Aufenthalt bieten und dabei auch ganz selbstverständlich die Themen Klimaschutz, Wassermanagement, Biodiversität bewältigen. Hoch versiegelte Straßen- und Platzflächen umzugestalten, so dass sie mit Bäumen ausgestattet, zu einem kühlenden Ort der Begegnung werden, der gleichzeitig auch ein Zuviel an Regenwasser zurückhalten kann. Nicht zu vergessen die vielen ungenutzten Dach- und Fassadenflächen, die begrünt nicht nur die Attraktivität des Vierels steigern. Regenwasserrückhaltung, Kühlungseffekte, Schadstofffilterung und Stärkung der Biodiversität sind hier die Stichworte für eine resiliente Stadtentwicklung.

Ein Beispiel zur Freiraumgestaltung mit dezentraler Regenwasserversickerung

Die Hochschule für Künste im Sozialen, Ottersberg (HKS), hat beim Bau ihres neuen Campus die dezentrale Versickerung des Regenwassers konsequent betrieben. Der neue Campus konzentriert mit Forschungsgebäude, Ateliers, Tanzräume, Medienwerkstätten und Mensa und Begegnungsräumen alle Aktivitäten der Hochschule auf einem rund 1 ha Gelände in der Gemeinde Otterberg. Allein auf den 3.200 qm großen Dachflächen fallen bis zu 65.000 Liter Regenwasser bei einem Starkregen an. Das Freiraumkonzept gewährleistet eine sichere Versickerung des Regenwassers, eingebunden in eine sowohl optische als auch ökologische Verzahnung von Stadt, Campus und umgebender Landschaft. Für Studierende und Mitarbeiter der HKS wird außerdem ein attraktiver Freiraum geschaffen: Große Rasenmulden können außerhalb von Regentagen als Wiesen- und Rasenflächen für den Aufenthalt im Freien genutzt werden. Obst- und andere Laubbäume spenden zukünftig Schatten und erhöhen zusammen mit den Staudenpflanzen die Artenvielfalt am Standort. Zudem wurde durch die einfach konzipierten aber wirkungsvollen Versickerungseinrichtungen der Aufwand für Einrichtung sowie Unterhaltung und Wartung erheblich reduziert.

Grüne Leitlinie für die Zukunft

Andrea Gebhardt, Präsidentin der Bundesarchitektenkammer und Landschaftsarchitektin im bdla, gibt die notwendige Planungskultur vor: „Biodiversität, Klima und auch der Boden sind keine Ressourcen, die wir verbrauchen können, sondern Schätze mit denen wir umgehen müssen.“

Doris von Dressler, Geschäftsstelle
Bund Deutscher der Landschaftsarchitekten
Landesverband Niedersachsen+Bremen

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