Sprachlos…

Veröffentlicht am 23. Mai 2022

David Jacob Huber, Geschäftsführer des BFW-Landesverbandes Niedersachsen/Bremen

Liebe Immobilienfreunde, seit 10 Jahren darf ich nun regelmäßig für die Zeitung „Haus- und Grundbesitz“ das Editorial schreiben. Noch nie ist mir das Schreiben so schwer gefallen wie gerade jetzt. Es gibt eigentlich keine Worte mehr für all das, was gerade passiert. „Sprachlos“ ist ein Zustand, der meine aktuelle Gefühlslage ziemlich gut beschreibt.

Vor einem Jahrzehnt habe ich in einen Artikel darüber geschrieben, dass die Quantität des zur Verfügung stehenden bezahlbaren Wohnraums die Kraft hat, die Gesellschaft zu spalten. Ich habe damals nicht den Hauch einer Ahnung gehabt, wie wahr diese Aussage eines Tages werden könnte. Was war damals passiert? Es war nur die Beobachtung, dass zunehmend mehr Wohnungen aus der Mietpreisbindung für geförderte Wohnungen fallen und dass immer weniger geförderte Wohnungen gebaut werden. Das war eine Folge der ungünstigen Förderbedingungen. Die Wohnraumförderung war damals einfach nicht praktikabel anwendbar. Aber die Politik in Niedersachsen und Bremen hat reagiert und in Zusammenarbeit mit den Verbänden Förderprogramme auf den Weg gebracht, die attraktiv und praktikabel waren und sind.

Das hat dazu geführt, dass mittlerweile über 30 % der Förderungen auch von privaten Unternehmen beansprucht werden. Eine sehr erfreuliche Entwicklung, die sich so gerne auch weiter fortschreiben darf. Aber die aktuelle Entwicklung hat den Trend gebrochen. Der weitere Bau von bezahlbaren Wohnraum ist ernsthaft gefährdet.

Die Preisspirale am Bau dreht sich aktuell immer weiter und immer schneller: Bauvorschriften, Baunormen und Vorgaben der Kommunen treiben die Preise nach oben. Dazu kommen die exponentiellen Preissteigerungen und die gleichzeitige Verknappung von Bauland. Rechnen wir noch die Preiserhöhungen von Bauholz, Stahl und Beton dazu, dann lässt sich schnell erkennen, dass der geförderte Wohnraum nicht mehr rentabel gebaut werden kann.

Über die politischen Wirren rund um die BEG-Förderungen haben wir an dieser Stelle noch gar nicht gesprochen. Was auch immer diese Entwicklung ausgelöst und wer sie verschuldet hat, darüber mag ich gar nicht schreiben oder spekulieren. Fakt ist, dass sich nun Entwicklungen der letzten Jahre entladen und zu einer katastrophalen Entscheidung geführt haben. Mit Bedauern denken wir an all die Familien, deren Traum vom Eigenheim, sei es ein eigenes Häuschen oder eine Eigentumswohnung, nun in Luft auflösen. Weit über 1,5 Mio. Menschen sind in Deutschland davon betroffen. Menschen, die nun weiter im Mietermarkt bleiben müssen. Die Emotionen dieser Menschen sind nur schwer zu beschreiben.

Und jetzt kommen wieder Menschen zu uns. Menschen, für die die Welt gestern noch heile und voller Zuversicht war und die sich von einem Tag auf den anderen mitten in einen furchtbaren Krieg wiedergefunden haben. Die aus der Heimat fliehen und nichts als das nackte Leben und die Kleidung, die sie tragen, retten konnten. Menschen, die traumatisiert und hilflos bei uns landen. Und die von einem Tag auf den anderen, auf die Hilfe anderer angewiesen sind. Im Gegensatz zur Flüchtlingskrise vor mittlerweile 8 Jahren haben wir in unserem Land keine Wohnungsressourcen mehr, die wir zur Verfügung stellen können. Zu dieser Herausforderung kommen nun auch noch die Preissteigerungen für Energie und Lebensmittel, die uns alle treffen.

Ja, ich bin wirklich sprachlos angesichts all dieser Themen, die wir nun bearbeiten müssen. Das Europa, das wir einst kannten, wird es nie wieder geben. Der Krieg in der Ukraine löst eine Entwicklung aus, die unumkehrbar sein wird. Das Gefühl der Sicherheit und des Friedens wird es so nicht mehr geben. Und dabei übersehen wir gerade auch die Entwicklungen, die unser Klima nachhaltig und immer schneller verändern. Können wir noch umkehren? Oder haben wir den „Point of no return“ schon überschritten? Ich glaube, dass die Zukunft für uns alle ziemlich ungemütlich werden wird.

Aber das ist noch nicht unbedingt das Ende. Wenn wir als Gesellschaft jetzt die Ärmel hochkrempeln, aus der eigenen bequemen Komfortzone heraustreten, uns vernetzen und zusammenstehen, dann können wir als Gesellschaft noch etwas bewirken. Wir müssen jetzt unsere Herzen und Geldtaschen öffnen, auf einiges verzichten und gemeinsam nach vorne schauen. Wir dürfen eben nicht sprachlos werden.

Vielerorts sieht man doch schon im Kleinen, das etwas gehen kann, wenn Menschen sich zusammentun und zusammenarbeiten. Die eigenen Ansprüche zurückschrauben und anpacken, helfen und Netzwerke bilden, die Menschen in der Not auffangen und unterstützen. Im Kleinen funktioniert es – jetzt müssen wir genau diese Modelle skalieren und auf breiter Ebene integrieren und fortentwickeln. Ich bin der Überzeugung, dass wir als Gesellschaft auch diese Herausforderungen schaffen können. Nur dürfen wir nicht weiter nur reden und schreiben, sondern wir müssen ins Tun kommen. Lassen Sie und anfangen – heute und nicht erst morgen.

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